Markus Niederhäuser ist Leiter Weiterbildung am Institut für Angewandte Medienwissenschaft der ZHAW und Dozent, Forscher und Berater zu Themen der Unternehmenskommunikation. Er ist Mitglied des HarbourClub

Riesiges Potenzial der generativen KI für die Unternehmenskommunikation

Kaum zu glauben: Es ist wenig mehr als ein Jahr her, als OpenAI im November 2022 die kostenlose Nutzung von ChatGPT öffentlich zugänglich machte. Dies hat in der Kommunikationsbranche, in den Unternehmen, aber auch in Gesellschaft und Politik ein mittleres Erdbeben ausgelöst. Das Potenzial der sogenannten generativen künstlichen Intelligenz scheint riesig, insbesondere auch für die Unternehmenskommunikation. Diese hat mittlerweile erste Anwendungsgebiete getestet, mit durchaus hoffungsvollen Resultaten. Die Experimentierphase ist weit fortgeschritten, unternehmensspezifische Anwendungen werden implementiert.

Text: Markus Niederhäuser

Die sogenannte generative KI basiert auf grossen Sprachmodellen (Large Language Models, LLM) und ist in der Lage, aufgrund von Wahrscheinlichkeitsberechnungen neue Inhalte zu generieren, sei es in Form von Texten, Bildern, Videos, Audios oder Programmcodes. Die meistverbreiteten Tools der generativen KI sind zurzeit ChatGPT für Textgenerierung und -bearbeitung sowie Midjourney für den Bildbereich. Derzeit wird die Integration der generativen KI in herkömmliche Plattformen und Suchmaschinen vorangetrieben, genannt seien hier Microsoft 365 Copilot und Bing Chat oder auch Google Bard. Mittlerweile versuchen weitere Firmen mit eigenen spezifischen Tools den Markt aufzurollen.

Unternehmensspezifische Anwendungen
Erste Unternehmen haben begonnen, aufbauend auf diesen Sprachmodellen unternehmensspezifische Anwendungen für ihre Unternehmenskommunikation zu entwickeln. Sie sind damit nicht nur in der Lage, die Maschine mit unternehmenseigenen Daten zu füttern, sondern können auch sicherstellen, dass ihre Daten in der sicheren technischen Umgebung des Unternehmens bleiben und nicht für das Training der kommerziellen Sprachmodelle verwendet werden. Das deutsche Fachmagazin PR-Report (6/23) hat Beispiele zusammengetragen:

- Die Telekom füttert das GPT-Sprachmodell mit einer grossen Menge von unternehmenseigenen Dokumenten und verfügt damit über eine Plattform namens COM-Chatbot, die für die Anforderungen der Kommunikation massgeschneidert funktioniert. Weitere Tools wie beispielsweise die COM-AI Learning Journey oder das COM-AI-Lab befähigen die Telecom-Mitarbeitenden, mit den KI-Tools besser umzugehen.

- Die Otto-Gruppe produziert CEO-Videos in Deutsch oder Englisch und adaptiert die jeweils andere Sprachversion mit Hilfe einer KI, zum Beispiel mittels Voice Cloning. Dabei wird im Hintergrund die Originalsprache leise laufen gelassen, um die KI-Unterstützung transparent zu machen.

- Lanxess hat zusammen mit der IT den «News Transformer» entwickelt, auf Basis von GPT-4. Aus einem Basistext produziert der Transformer auf Knopfdruck Lanxess-spezifische Textvorschläge für Headlines, Website- oder Social-Media-Texte.

- Generative-KI-Tools werden im Weiteren auch eingesetzt als kreative Namensfinder für eine neue Marke, zur Generierung eines Stimmen-Avatars, zur Bildgenerierung- und bearbeitung oder für eine aufwändige Webseiten-Migration.

Chancen und Risiken der generativen KI
Die Chancen der generativen KI für die Arbeit in den Kommunikationsabteilungen liegen auf der Hand und werden bereits fleissig genutzt. Produktivitätsgewinne, Qualitätsverbesserungen und damit einhergehende Kostenersparnisse werden in diesem Zusammenhang immer wieder genannt. Die Risiken der neuen Tools sind ebenfalls allgegenwärtig: Regulatorische Fragen rund um Datenschutz und Urheberschaft sind weiter ungeklärt, ethische Bedenken reichen von Befürchtungen vor Missbrauch der mächtigen Tools bis hin zu Ängsten vor Arbeitsplatzverlust.

Schweizer Studie im Frühling 2024 geplant
Welchen Quantensprung die generative KI für die Unternehmenskommunikation bedeutet, wird deutlich, wenn man sich die im Januar 2023 veröffentliche ZHAW-Trendstudie 2022 «Kommunikation in der digitalen Transformation» vor Augen führt. Im Jahr 2022 gaben nur gerade 6 Prozent der befragten CCOs an, dass sie automatisierte Content-Erstellung bzw. Textproduktion einsetzten. Die zweijährliche Trendstudie wird in diesem Frühjahr neue Daten zur Kommunikation in der digitalen Transformation erheben, mit einem Fokus auf den Einsatz der generativen KI. Die Ergebnisse werden an dieser Stelle im Sommer 2024 veröffentlicht.

Ausgewählte aktuelle Studien zum Thema (alle online verfügbar):
- CommTech/DPRG: CommTech Index Report 2023
- Deloitte: Generative AI’s fast and furious entry into Switzerland
- HSLU: Generative künstliche Intelligenz – Befragung März 2023
- McKinsey & Company: The economic potential of generative AI  
- USC Annenberg: Welcome to AI – The Relevance Report 2024
- ZHAW/IAM: Kommunikation in der digitalen Transformation – Trendstudie Schweiz 2022 (Trendstudie 2024 in Planung)